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Sieben Wochen, sieben Länder – Bikepacking rund um die Ostsee

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Sieben Wochen, sieben Länder – Bikepacking rund um die Ostsee

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/Ausgabe 12

Sieben Wochen, sieben Länder – Bikepacking rund um die Ostsee

Udo Kewitsch
/Lesezeit: 5 Minuten

Mit Abenteuern ist es ja so: Wenn du sie nicht angehst, passieren sie auch nicht. Sei es die ersehnte Alltagspause oder die große Schnapsidee, ob sie Wirklichkeit werden, liegt allein bei dir. Denn in den meisten Fällen wird dir niemand die Idee liefern, und erst recht nicht für dich sagen: Das machst du jetzt. Und dann ist die helle Jahreszeit schon wieder vorbei, Weihnachten vor der Tür und ein weiteres Jahr vergangen. Daher: Einfach mal machen. Ein Datum festlegen, recherchieren und vielleicht eine andere Person einladen. So wie Udo und Lothar, die im Jahr ihres sechzigsten Geburtstags aus einer Laune heraus beschlossen, die Ostseeküste abzufahren. Die Idee wurde immer weiter verfeinert, bis klar wurde: Sie machen es wirklich. Es wurden 49 Tage auf dem Bike, 49 Nächte im Zelt, 4000 Fahrradkilometer, mehr als eine Million Sterne. Mehr möchte ich nicht verraten, nur eines: Diese Geschichte könnte ansteckend sein.

Catherine

Chefredakteurin Notes from Outside

Sieben Wochen Urlaub, sieben Wochen Freizeit, Freiheit im Sattel, sieben Länder. Sagt selbst: Klingt das nicht nach Wolke sieben? Und wenn schon, dann mit Lothar, meinem besten Kumpel aus den ersten Schultagen. Pünktlich in unser beider sechzigsten Geburtsjahr.

Der Plan schien einfach: „Einmal rund um die Ostsee“ war unser ambitioniertes Vorhaben. Der Blick auf die Karte machte klar: das komplette Baltikum und Skandinavien werden eine Herausforderung der besonderen Art für Körper, Geist und Seele – im positiven Sinne. Der Rotwein war lecker, der Übermut groß: Auf die Frage von Lothar, „Was hälst du davon?“, gab es nur eine mögliche Antwort: „Lass es uns tun.“

Im Grunde beginnt so ein Abenteuer bereits mit der Idee, die zu verfeinern uns über einige Abende hinweg gelang. Am Ende hatten wir auf Komoot 15 Teilstücke à 250 bis 300 Kilometer geplant und auf die GPS-Geräte übertragen. Wir waren mittendrin im Ich-will-was-erleben-Modus und voller Vorfreude. Baltic Sea, wir kommen.

Dann geht es los. Die ersten Meter ab Lübeck mit der frischen Brise, den peitschenden Wellen und dem leichten Salzgeschmack in der Luft geben uns eine erste Idee, wie sich die nächsten Wochen anfühlen werden. Vor uns liegen 49 Tage auf dem Bike, 49 Nächte im Zelt, 4000 Fahrradkilometer, mehr als eine Million Sterne und unzählige Glücksmomente.

Der Grenzübertritt hinüber nach Polen bringt die erste Gänsehaut. Kein Schlagbaum, keine Kontrollen, nur Natur und eine sich rasch verändernde Infrastruktur. Wir sitzen grinsend im Sattel und gewöhnen uns schnell an unseren neuen Lebensrhythmus. Wie heißt es so schön: Bike, eat, sleep, repeat – kennt ihr das? Man ist im Flow und darüber hinaus gibt es nichts, was dich ablenkt.

Polen empfängt uns freundlich und zuvorkommend, vom Bürgersteig rufen die Menschen „Dzien Dobry“ und manch einer winkt uns wohlgesonnen zu. Die Wege sind ruppig und reich an Pflastersteinen, der Verkehr hingegen arm an Autos und LKWs. Die Übergänge nach Litauen und in der Folge Lettland führen uns immer tiefer ins Baltikum hinein und als wir die Skyline von Riga erblicken, ist das ein weiterer Gänsehautmoment. Was für ein Ausblick – bestes Wetter obendrein – es scheint, wir sind vom Glück begünstigt. Riga zieht uns derart in seinen Bann, dass wir uns erstmals nach 21 Tagen entscheiden, einen Ruhetag einzulegen. Unser Nachtlager, ein Campingplatz am Stadtrand mit Blick auf die Altstadt am Ufer der Düna, ist ein Traumspot. Wir verzichten auf die Überhaut unserer Kuppelzelte und genießen nach einem ausgiebigen Bummel durch die historische Stadt die sternenklare Nacht.

Aber wir haben noch mehr vor uns. Estland will durchquert werden und während wir nach einer weiteren traumhaften Nacht im Zelt durch die einsamen Wälder rund um Nóva radeln, wird uns einmal mehr bewusst, wie privilegiert wir eigentlich sind, dies alles erleben zu dürfen. Die wild rauschende Ostsee zu unserer Linken, die tiefen Kiefernwälder zu unserer Rechten, Sandstrand hier, Wildwuchs dort, eine Feuerstelle, ein Aussichtspunkt, eine Unterstandshütte und ein paar vereinzelte Moskitos, die uns von unserem Glück mitnichten abhalten können. Stecht ruhig, ich genieße trotzdem jede Sekunde und all die Eindrücke um mich herum.

Als wir an Tag 28 in das große, offene Maul der Fähre hinüber nach Helsinki rollen, heißt es für uns „Bye-bye Baltikum, hello Finnland!“ Die Band im Park spielt laut und stampfend „My Generation“ von den Who. Es ist Summer in the City – und wir mittendrin. Ein gewisser Überschuss an Glück macht sich breit, wir fühlen uns frei und sorgenlos, sind mittendrin in unserem persönlichen kleinen Sommermärchen – dabei haben wir erst etwas mehr als die Hälfte unserer Tour hinter uns. Skandinavien, wir freuen uns auf dich.

Die Radwege verlieren ihren rauen Charme, werden weitläufiger und glatter, die Natur nimmt nochmals an Ausdruckskraft zu. Wir steuern auf die nächsten Teilstücke unserer Planung zu und uns erwartet der etwas ungewisse Teil der Reise. Wie werden wir über die rund 6700 Inseln am Eingang des Bottnischen Meerbusens hüpfen können, ohne aus dem Zeitplan zu geraten? So spannend die Fragestellung, so erfolgreich kommen wir über all diese wunderschönen Inseln. Die Fähren cruisen im Hin-und-zurück-Modus, mehr oder minder regelmäßig, niemand verlangt eine Buchung oder gar Reservierung, obendrein sind sie kostenfrei. Die Wartezeit aufs Boot fühlt der Radreisende mit einer Genuss-Rast an den unzähligen Buchten dieser kleinen Häfen. So mag es nicht verwundern, dass Lothar und ich die Äland Inseln als eines der Reise-Highlights in Erinnerung behalten. Kein Verkehr, Wasser, Sand und Meer, eine reichhaltige überquellende Natur – und das alles bei bestem Wetter.

Tag 35 sind wir in Stockholm und nachdem wir Schweden durchquert haben, entscheiden wir uns am Tag 43 ein zweites Mal dazu einen „Lazy Day“ einzulegen, denn diesen Ort kann man einfach nicht links liegen lassen: Wir haben eine Feuerstelle, einen kleinen eigenen Wald, eine Bucht und einen Blick, den man schöner nicht hätte malen können. Hier rasten wir zwei Nächte. Genuss mit fünf S, Glücks-Score einhundert von einhundert möglichen Punkten.

Das Finale ist schnell erzählt. Ein paar Pfund leichter, aber an unzähligen Erfahrung und Eindrücken schwerer, durchqueren wir unendlich glücklich Dänemark – so wenig Erwartung wir an diesen Teil der Reise hatten, umso positiver werden wir überrascht. Völlig unaufgeregt, aber wunderschön, empfängt und beeindruckt uns dieses Land nachhaltig. 

Dann sitzen wir am Strand der Ostsee, oberhalb von Grömitz, blicken aufs Meer hinaus und es reicht uns ein stilles Lächeln und ein herzhaftes High Five, als die Sonne sich zunehmend unter der Decke des Horizontes zurückzieht. Wir haben es tatsächlich geschafft: Around the Baltic Sea – einmal rund um die Ostsee. Kein Pech, keine Pannen, nur Glück und Luft im Reifen, sehr viel Sonnenschein und Happiness. 3993 Kilometer Abenteuer – zig tausend tanzende Endorphine und so viel Meer.

Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Äland Inseln, Schweden und Dänemark – wo war es jetzt am schönsten? Ich weiß es nicht wirklich – um es herauszufinden, sollte ich vielleicht nochmal fahren.

Text und Fotos von Udo Kewitsch

Udo Kewitsch, Jahrgang 1962 nennt sich auch Udokah, ist leidenschaftlicher Biker, Alpencrosser, Fotograf, Blogger und Buchautor. 20-mal hat Udo Kewitsch die Alpen mit dem Mountainbike überquert, aber auch als Bikepacker erlebt er seit Jahrzehnten seine Abenteuer. Auf längst vergessenen Pfaden hat er von Kathmandu bis Pokhara eine alte Handelsroute kartografiert, Alaska mit dem Bike erkundet, Irland umrundet und auch schon die Mongolei by Bike erobert. Diese Bike-Leidenschaft wird flankiert von der reinen Lust am Schreiben und Fotografieren. Als Bikepacker hat ihn das Freitheitsvirus befallen und so finden sich mittlerweile viele kleine und größere Overnighter-Touren auf seinem Profil.

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