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Notes from Outside

Der unmögliche Pass

Notes from Outside
/Ausgabe 6

Der unmögliche Pass

Robin Todd
/Lesezeit: 5 Minuten

Kennst du das, wenn dir gesagt wird, etwas sei völlig unmöglich, viel zu gefährlich oder zu anstrengend? Und dann machst du es einfach trotzdem? Als Frau, Mutter und Abenteurerin passiert mir das so oft, dass ich gar nicht mehr mitzähle. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass alle, die schon mal ein außergewöhnliches Abenteuer geplant haben, mit ähnlichen, meist gut gemeinten, Bedenken von Freunden und Familie bedacht worden sind. Deshalb sind wir uns bestimmt einig, wenn ich sage: Zu wissen, dass es richtig war, an sich selbst zu glauben – das ist eines der beflügelndsten Gefühle überhaupt. Mit 57 Jahren erfüllte sich Robin endlich ihren großen Lebenstraum: einmal mit dem Fahrrad quer durch Kanada fahren. Beim Lesen ihrer Geschichte spürte ich ihre Freude – über das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten und wie es mit jedem Kilometer wuchs und wuchs – und ich hoffe, du spürst sie auch. Viel Spaß beim Lesen.

Catherine

Chefredakteurin Notes from Outside

Als ich an einem Aussichtspunkt vorbeikam, an dem zwei junge Frauen für Fotos angehalten hatten, hörte ich, wie eine von ihnen rief: „Wahnsinn, ich glaub's nicht, dass sie diesen Berg hier hochfährt!“ Ich antwortete im Spaß: „Bin ich denn schon oben?" Laut Fahrradcomputer hatte ich schließlich noch Hunderte Höhenmeter vor mir. „Ähm, nicht wirklich“, sagten beide zögernd, so als wollten sie mir die schlechten Nachrichten verheimlichen. Ich winkte nur ab und kämpfte mich weiter nach oben auf den Kootenay Pass in den Rocky Mountains von British Columbia. Eigentlich wartete ich nur darauf, dass es bald unmöglich werden würde – so wie die Leute, die ich früher am Nachmittag getroffen hatte, es mir vorhergesagt hatten. Ein Mann hatte mir sogar vorgeschlagen, den Pass lieber komplett zu meiden und einfach über Nelson eine Fähre entlang des Sees nach Creston nehmen. Das hatte mir den Aufstieg erst noch schwieriger erscheinen lassen, aber mich letztlich noch mehr motiviert, ihn anzugehen.

Unten am Pass war es 25 Grad warm und herrlich sonnig. Während des Aufstiegs sank die Temperatur dann schnell auf 11 Grad. Wolken zogen auf. Mir war allerdings immer noch warm, denn ich versuchte ja mit aller Kraft, auf dem 24 Kilometer langen Aufstieg in Bewegung zu bleiben. Ich war fest entschlossen, den Gipfel ohne Anzuhalten zu erreichen. Und sehr dankbar für die ruhigen Wetter-Bedingungen. Wind würde ich jetzt nicht auch noch bewältigen. Besonders nicht auf den letzten sieben Kilometern, wo die Steigung zwischen acht und neun Prozent (!) liegen sollte.

Wenn du mit 9 Stundenkilometern dahinfährst, hast du Zeit, jede Kleinigkeit zu beobachten.

Die gleich links aufragende Felswand etwa oder den Fluss, der sich dort, weit unterhalb der Straße rechts, seinen Weg durch den Felsen schlängelt, die Rotschwanz-Bussarde und Weißkopf-Seeadler, die mit Leichtigkeit einfach darüber hinwegschweben – und den Himmel, der aussieht, als würden ihn die dunklen Wolken einfach so zerkratzen.

Als mehrere Trucks vorbeifuhren, wurde mir die Größe meines Abenteuers wieder mal bewusst. Es war nicht nur der dritte Gebirgspass des Tages (nach einem Start in frühster Morgendämmerung am Christina Lake und über 2000 Höhenmetern), es war auch bereits der vierte Tag meiner großen Fahrt durch Kanada. Eine Fahrt, von der ich schon geträumt hatte, seit ich als Teenagerin in Lake Louise, Alberta kellnerte. Für die insgesamt 6800 Kilometer würde ich 41 Tage brauchen (inklusive einem Ruhetag) – also im Schnitt 170 Kilometer pro Tag. Nur ich und mein geliebtes Gravelbike.

Bei früheren Herausforderungen, ob es ein neues Schuljahr war oder ein Langstreckenlauf, hatte ich gelernt, immer in kleinen, überschaubaren Etappen zu denken

– erstmal einfach den ersten Unterrichtstag überstehen, mich nur auf den nächsten Kilometer konzentrieren. Ich habe versucht, dieselbe Strategie auf dieser Reise anzuwenden. Ich konnte mir zwar absolut nicht vorstellen, ganz Kanada mit dem Fahrrad zu durchqueren; was ich mir aber vorstellen konnte: 200 Kilometer am Tag zu fahren. Das hatte ich nämlich schon öfter gemacht. Trotzdem schlichen sich manches Mal Zweifel ein. Immer wieder suchte ich nach dem Schild, das diese 9-Prozent-Steigung anzeigte. Eine Steigung, von der ich wirklich befürchtete, dass sie mich komplett zum Stillstand bringen würde. Dieses Schild tauchte allerdings nie auf. Zum Glück. Nach zwei Stunden beständigem Klettern kam ich an eine steile Kurve und … erreichte den Gipfel! Hier entdeckte ich dann ein Schild, das die verschiedenen Steigungen der Abfahrt anzeigte, und hier standen auch die ganzen Trucks. Sie wurden angehalten und man überprüfte ihre Ausrüstung, bevor es für sie den Berg hinuntergehen durfte.

Ich wünschte, ich hätte Zeit gehabt, die erhabene Pracht auf der Passhöhe zu genießen. Aber ich hatte noch 40 Kilometer vor mir – und es war schon früher Abend.

Ich bin mir sicher, dass sehr viele Leute die lange Abfahrt sehr genossen hätten; ich jedoch fand diesen Teil am stressigsten. Trotz Jacke, Mütze und Handschuhen zitterte ich vor Kälte am ganzen Körper, was es insgesamt extrem schwierig machte, das Rad zu kontrollieren. Als ich mich dem Fuße des Berges näherte, kam zum Glück die Sonne heraus und ich trat fieberhaft in die Pedale, um es ganz schnell nach Creston zu schaffen. Um ja keine Energie zu verlieren, schaufelte ich mir überzuckerte Kaubonbons, eine Handvoll nach der anderen, in den Mund.

Ich hatte eigentlich einen Campingplatz reserviert, aber als die letzten Lichtstrahlen über den Himmel zogen, rollte ich in die Stadt und entschied, dass das erste Motel auch gleich das beste für die Nacht sei. Was für ein Luxus! Statt Zelt aufstellen und auf dem Campingkocher kochen, genoss ich: eine heiße Dusche, eine extra große Sushi-Platte aus dem fantastischen Motel-Restaurant und langes Ausschlafen in einem sehr bequemen Bett. Am nächsten Morgen war ich noch völlig benommen vor lauter Müdigkeit, aber ich fuhr raus in den Tag – voller Vorfreude, die nächste Nacht bei guten Freunden in Kimberley verbringen zu dürfen. Tatsächlich bauten sie mich wieder richtig auf, halfen mir mit der Wäsche, machten mein Fahrrad wieder flott und kochten mir leckeres Essen, bevor ich mich wieder auf den Weg machte in Richtung Osten, immer in Richtung Osten.

Eigentlich war ich ja erst am Anfang, aber ich hatte es bereits bis auf den Gipfel geschafft. Ich hatte die Rockies erobert – den Teil der Reise, den ich am allermeisten gefürchtet hatte. Danach ging es weiter, und ich kämpfte weiter: gegen heftige Winde, gegen regnerische Tage und gegen den starken Truck-Verkehr im Norden Ontarios. Ganz zu schweigen von der mentalen und emotionalen Erschöpfung der letzten Wochen. Was ich an diesem Tag – und nach 3200 Höhenmetern – gewonnen hatte, war das Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten. Und eine neue Entschlossenheit, die Stimmen zu ignorieren, die mir so oft Zweifel eingeredet haben.

Text & Fotos: Robin Todd

Robin Todd ist 57 Jahre, pensionierte Lehrerin und hat bereits in den 80er Jahren mit dem Bikepacking begonnen. Ihr erstes richtig großes Abenteuer war eine 4000-Kilometer-Fahrt durch vier kanadische Provinzen – von Lake Louise, Alberta, nach Guelph, Ontario. Ein Jahr später unternahm sie eine sechsmonatige Bikepacking-Tour durch Hawaii, Fidschi und Neuseeland. Nachdem Robin begonnen hatte, an der High School Englisch zu unterrichten, konzentrierte sie sich auf Triathlon und Marathon – aber erst als sie 2020 in den Ruhestand ging und sich ein Gravelbike kaufte, wurde ihr Traum, ganz Kanada zu durchqueren, konkreter. 2021 fuhr sie dann von Vancouver nach Cape Breton und beendete die Tour im Sommer 2022 mit einer Fahrt durch Neufundland. Schau dir ihre Cross-Canada-Collection an und folge ihr auf komoot.

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