Die Briten hatten – wie viele andere Europäer – schon immer ein großes Interesse an Italien und seiner Kultur. Zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert war es für Angehörige der britischen Ober- und Mittelschicht fast obligatorisch, eine Reise durch Europa zu unternehmen, die sogenannte Grand Tour, und Italien war das Hauptziel. Mehrere Schriftsteller machten sich damals auf den Weg in den Süden, die berühmtesten waren Lord Byron, Mary und Percy Shelley und John Keats. Vor allem der Schriftsteller und Maler Edward Lear verliebte sich in Italien, insbesondere in den Süden und in Kalabrien, das damals zum Königreich beider Sizilien gehörte. Seine Reiseaufzeichnungen veröffentlichte er in illustrierten Büchern. Auf dem Sentiero dell’Inglese (Weg des Engländers) wandelst du auf den Spuren von Edward Lear und entdeckst selbst, warum der Künstler von dieser Region so fasziniert war.

Beim Schreiben dieser Collection habe ich viele Ähnlichkeiten zwischen Edward Lear und mir entdeckt, was die Wanderung für mich noch interessanter macht. Wie der Autor bin auch ich in Großbritannien geboren und begeistere mich für die italienische Kultur, sogar so sehr, dass ich hierher gezogen bin. In den letzten Jahren durfte ich Kalabrien meine zweite Heimat nennen. Deshalb war es für mich ein wahres Vergnügen, Edward Lears Geschichte kennenzulernen und dem Sentiero dell’Inglese zu folgen.

Edward Lear wurde 1812 in Highgate, London, geboren. Er war das jüngste von 21 Kindern und hatte eine schwere Kindheit, weil ihn Epilepsie und Asthma plagten. Er begann zu zeichnen und schrieb sogenannte Nonsens-Gedichte und Limericks für den Earl of Derby, um dessen Kinder zu unterhalten. Im Alter von neunzehn Jahren begann er, Europa zu bereisen und entdeckte dabei seine große Leidenschaft für Italien. Dort ließ er sich bis zu seinem Tod 1888 in San Remo nieder. Auch international ist er bekannt für seine Nonsens-Gedichte, wie dieses hier:

Es war mal ein Mann aus
Südschwaben,
der tanzte Quadrilla mit ‘nem Raben;
sie missbilligten ganz
den absurden Tanz
und erschlugen den Mann aus
Südschwaben.
(Übersetzt von Hans Magnus Enzensberger)

Kalabrien liegt an der Spitze des italienischen Stiefels, der sehr dünn besiedelt und reich an Natur ist. Die Region grenzt an das Ionische und das Tyrrhenische Meer und ist für Italien vergleichsweise gebirgig, mit der Besonderheit, dass sich die Berge quasi direkt aus dem Meer erheben. Auf dieser Wanderung tauchst du ganz im Süden in die Natur ein, überquerst Berge, spazierst durch mediterrane Wälder, vorbei an alten Olivenbäumen und ruhigen Dörfern. Neben der wunderschönen Landschaft ist Kalabrien auch für seine Küche und seine frischen Produkte bekannt, die du entlang der Strecke immer wieder probieren kannst.

Du startest in dem Dorf Pentedattilo, das am Fuße des Monte Calvario liegt. Am Rande des Nationalparks Aspromonte wanderst du zwischen Bergen und Meer bis nach Staiti. Dieses Gebiet ist nicht gut an die öffentlichen Verkehrsmittel angeschlossen. Die Anreise erfordert also ein bisschen Planung. Am praktischsten ist es, mit dem Zug zu kommen, der zwischen Reggio Calabria und Catanzaro Lido entlang der Küste verkehrt. Vom Bahnhof Melito di Porto Salvo sind es sieben Kilometer zu Fuß bis Pentedattilo. Vom Ziel in Staiti kannst du weitere zwölf Kilometer bis zum Bahnhof Brancaleone gehen.

Ich habe die knapp 100 Kilometer lange Strecke in sechs moderate Etappen unterteilt. Insgesamt erwarten dich etwa 4.000 Höhenmeter. Entlang des Weges gibt es ein Netz von familiengeführten Unterkünften, die sich zusammengeschlossen haben und als Orientierungspunkte entlang der Strecke dienen. Ich empfehle dir, im Voraus zu buchen. Der Weg ist gut ausgeschildert, sowohl mit Holzschildern als auch mit rot-weißen Markierungen. Dank des milden Klimas ist die Route das ganze Jahr über begehbar. Im Herbst und Winter kann es allerdings schwierig werden, die Flüsse zu überqueren, wenn es viel geregnet hat. Für diesen Fall gibt es Alternativrouten. Weitere Informationen findest du hier: sentierodellinglese.wordpress.com.